Dienstag, 28. September 2010

"Kvelertak" - Black'n'Roll-Wumme



Hm, das erste Lied läuft ja mal richtig gut rein. Die können auf keinen Fall so weiterpeitschen!? Zweites Lied: fuck die peitschen weiter...
Kvelertak aus Norwegen trotzen allen Genregrenzen. Eine Doublebass aus der alten Blackmetal-Schule paart sich mit Rock'n'Roll Gitarrenakkorden. Da wechseln Gekreische, das Dani Filth alle Ehre machte, und chorale Passagen. Da kommt mal klarer Gesang mit einer ruhigen Melodie im Hintergrund, die Atmosphäre baut sich auf und entlädt sich dann in einem fetten Newmetal-Groove. Die Einflüsse reichen von Satyricon (Rebel Extravaganza), über Wolfmother und Turbonegro, den Gallows und Sick of it all bis zu Caliban. Aber der Mix überzeugt. Das ist kein charakterloser, wild zusammengepunchter Metalcoktail, damit ja alle bedient sind. Kvelertak hat auf diesem Debüt einen Stil gefunden. Vielleicht sogar einen neu-erfunden: Black'n'Roll. Und der hat wahrlich Charisma. Diese Scheibe könnte man sich aufm Southside-Zeltplatz so gut vorstellen, wie bei Wacken oder auf der Turbojugend-Party. Das Feiern vergisst dabei niemand mehr...


Montag, 12. Juli 2010

Ein Exzerpt aus dem Aufsatz "Hat die Philosophie den Kontakt zu den Menschen verloren?" von W.V.O. Quine

"Mit dieser vagen Überschrift schließe ich philosophische Untersuchungen moralischer und ästhetischer Werte keineswegs aus. Manche derartige Untersuchungen können, wenn sie analytisch ausgerichtet sind, wissenschaftlich orientiert sein. Im Hinblick auf Inspiration oder Trost haben sie jedoch wahrscheinlich wenig zu bieten. Doch wer Philosophie in erster Linie wegen des geistigen Trostes studiert, ist irregeleitet und wahrscheinlich sowieso kein sonderlich guter Student, denn es ist nicht die geistige Neugierde, die ihn bewegt. Begeisternd und erbaulich zu schreiben, ist etwas Bewundernswertes, aber der Ort dafür ist der Roman, das Gedicht, die Predigt oder der literarische Essay. Philosophen im professionellen Sinne sind dazu nicht spezifisch geeignet. Sie sind auch nicht spezifisch geeignet, der Gesellschaft zu helfen, ins Gleichgewicht zu kommen, obwohl wir freilich alle dazu beitragen sollten, was wir können. Was diese immerfort laut werdenden Bedürfnisse gerade erfüllen könnte, ist die Weisheit: sophia ja, philosophia, nicht unbedingt."

Willard v. Orman Quine; Theorien und Dinge, Frankfurt a. M. 1991 S.233f.

Mittwoch, 30. Juni 2010

Die Linke und die Fähigkeit zum Parlamentarismus

Es gibt in diesem Moment genau einen Grund dafür, dass der Abnicker Christian Wulff zum Bundespräsidenten ernannt wurde. Gauck hätte es werden können, das scheint absolut kontingent, und was dafür gefehlt hat waren einzig und allein die Stimmen der Linken.

Wer sich den Wahlkrimi in 3 Akten genau ansieht (SpiegelOnline) wird feststellen, dass nach dem 1., spätestens nach dem 2. Wahldurchgang, die Linke die Möglichkeit gehabt hätte Gauck zu wählen, da ihre eigene Kandidatin völlig aus dem Rennen war, von Anfang an. Das hat sie nicht getan aus Trotz. Der Spiegel schrieb schon vor kurzem, dass die Linke Gaucks Hoffnung auf einen Sieg mitbestimmen, dass sie aber auf Grund seiner Abneigung und ihrer Vorbehalte, eher für Wulff, denn für Gauck votierten. (SpiegelOnline) Ich halte das für eine Haltung, die ich der Linken durchaus zutraue. Im Moment hat diese Partei gut reden. Sie kann noch immer zurücklehnend behaupten, sie würde alles besser machen, so man sie liese. Tatsächlich tut sie nichts dafür, dass das auch geschieht. Sie entzieht sich aus Starrköpfigkeit der politischen Verantwortung. Eine Verantwortung, die Kompromissbereitschaft und Koalitionswillen aufzubringen bereit sein muss. Statt dessen, nimmt sie eher einen konservativen Duckmäuser als Präsidenten in Kauf, denn einen sozialen Kandidaten, der schon per definitionem ein breiteres Spektrum sozialer Interessen vertritt und damit der Linken ideell näher stehen sollte. Doch nicht nur das. Wulff ist Bundespräsident geworden. Demnächst beginnt die Sommerpause in Berlin und Angela Merkel hat einen Monat Zeit mit ihrer Koalition erfrischt und konsolidiert wieder die öffentliche Bühne zu betreten, so dass man sich bald nicht mehr erinnert, dass eine Wahl Gaucks für diese Regierung höchstwahrscheinlich die Misstrauensfrage herbeigeführt hätte. Dass dies nun wieder auf der Kippe steht, dafür trägt allein die Linke schuld.
Und nun was hat sie erreicht? Sie hat sich ihren Idealismus bewahrt. Schön. Und in den nächsen 5 Jahren wird die Regierung von einem konservativen Präsidenten gedeckt, dessen Ansichten wesentlich radikaler sind, als die Gaucks. Wenn diese Partei meint, dass ihre Politik die beste für dieses Land sei, dann hat sie durch eine passive Wahl Wulffs, denn anders kann man das nicht mehr nennen, ihren Idealismus auf fundamentalere Art verraten. Wer der Meinung ist, er könne im Sinne der deutschen Bürger, dieses Land besser regieren, der muss zeigen, dass er es wirklich will und kann, und dem sollte jede Gelegenheit recht sein, die Politik so zu lenken, dass sie seiner eigenen Position näher kommt. Gauck hätte der Linken näher gestanden, als Wulff. Die Linke muss sich gefallen lassen, dass sie hier passiv, eine konträre politische Position ins Amt gewählt hat.
So funktioniert Parlamentarismus und dazu bedarf es einen ausgeprägten Sinn für politisches Kalkül, den die Linken zum widerholten Mal hat missen lassen.

Mittwoch, 12. Mai 2010

Georges Spätwerk. Ein Gedicht aus dem "neuen Reiche"

Das Spätwerk Georges wird oft auf den schmalen Grat ideologischen Grenzganges hin untersucht. Sicher gehörte George zu den Denkern der Gruppe, die man gerne unter dem Oxymoron "konservative Revolution" subsumiert. Das stimmte, insofern im George-Kreis einige Schlagwörter der nationalistischen Revolution bereits zum geflügelten Jargon gehörten. Dennoch sprach man im Kreise vom Heldentod, vom geheimen Deutschland, vom neuen Reich und vom Führerkult in einer lediglich kulturellen Sphäre ohne Bezüge zur politischen Wirklichkeit. Eine ausgewogene Semiotik dieser Topoi innerhalb des Kreises könnte zeigen, dass sie mehr dem platonischen Άκαδήμεια (akademeia) Gedanken verhaftet sind, als den Hoffnungen der politischen Moderne nach 1919. Gerade dem Begriff des "Führerkultus", hätte George an seiner offensichtlichen Polyvalenz und Verfremdung Anstoß genommen, hätte leicht durch "Zöglings-" oder "Jünglingskult" ersetzt werden können, ohne seine inhaltliche Dimension einzubüßen. Mit diesen Begrifflichkeiten spielte der Kreis bereits vor dem ersten Weltkrieg. George war sich der Zweckentfremdung seiner Begrifflichkeiten durch die Nationalsozialisten durchaus bewusst. Die federführenden Figuren dieser Bewegung waren nicht wirklich, was sich George als Wunschleser empfahl. Zur einer expliziten Stellungnahme gegen die nationalistische Revolution kam es allerdings auch nicht. "Führerkult", "Reich", "geheimes Deutschland" waren nun einer Eigendynamik im dt. Sprachgebrauch verfallen und erfuhren ihre sematische Ausdehnung, bis zur Entfremdung vom ursprünglichen Sinngehalt. Es finden sich dennoch Gedichte im Spätwerk Georges, die heute der unvoreingenommenen Rezeption wert sind.

Horch was die dumpfe Erde spricht:
Du frei wie vogel oder fisch-
Worin du hängst, das weisst du nicht.

Vielleicht entdeckt ein spätrer mund:
Du sassest mit an unsrem tisch
Du zehrest mit von unsrem pfund.

Dir kam ein schön und neu gesicht
Doch zeit ward alt, heut lebt kein mann
Ob er je kommt das weisst du nicht

Der dies gesicht noch sehen kann.

(Stefan George, GA.IX.129)



Zur Biografie Georges:
Karlauf, Thomas; Stefan George, Die Entdeckung des Charisma, München 2007
Zum Akademie-Gedanken:
Sloterdijk, Peter; Nicht geretter, Versuche nach Heidegger, Frankfurt 2001

Dienstag, 11. Mai 2010

Sorry Peter...

Es kann nur einen Otto Waalkes geben.





Donnerstag, 8. April 2010

Golo Mann und die Larmoyanz

Es gibt einige deutsche Historiker, deren Werke mehr waren, als lediglich der historischen Forschung ein Zuwachs an Wissen. Sie legten gleichsam ein literarisches - ein poetisches - Talent an den Tag, schrieben Bücher, die, ausgeglichen in der Form wie im Inhalt, Geschichte erzählen wie ein Roman. So plastisch erscheint einem beim Lesen die Vergangenheit, dass unbemerkt bleibt, wie fern die Ereignisse sind, von denen die Rede ist. Zu diesen Historikern gehören sicherlich der Nobelpreisträger Mommsen, Joachim Fest und allen voran; Golo Mann. Im Schatten seines Vater konnte Mann sein Können erst nach dem Tode seines Vaters voll entfalten. Es scheint als hätte der alte Dichterfürst Thomas erst abtreten müssen, damit Golo das nötige Maß an Selbstvertrauen entwickelt, seine Begabung frei zu entfalten. Dass er der Sprache ebenso gewachsen war wie sein Vater, aber der Weg in die prosaische Dichtung niemals hätte begehen können, ist unleugbar. Es wäre ihm ergangen wie seinem Bruder Klaus und auch seinem Onkel Heinrich. Stets blieb in dieser Familie der Alte im Vordergrund, immer als Repräsentant deutscher Intellektualität, später sogar deutsches Gewissen, und historischer "Seismograph". Ein anderes Feld musste her, eines für das Thomas Mann weniger Gespür hatte, wenngleich seine Porträts des europäischen Bürgertums teilweise sezierenden und analysierenden Charakter hatten. Thomas Mann war in seinen Darstellungen nicht immer ganz ehrlich zu sich, nicht immer ganz korrekt in den Bildern, die er aus seiner Erinnerung versuchte zu zeichnen. Golo Mann brauchte das Korsett der Geschichte. Er hatte stets den Anspruch die Kräfte auszuloten, abzuwägen, die Geschichte machen, von ihr getrieben werden, oder zerrieben. In seiner "deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts" lässt er keine Kraft aus, benennt, was wichtig war, und was für zu wichtig gehalten wurde. Es ist hier nicht angebracht noch einmal ein Lob auf dieses epochemachende Werk auszusprechen. Es hat reichlich und verdient genug davon erhalten. Erwähnenswert scheint mir dennoch den Tonfall, in dem es geschrieben wurde, nochmal zu durchleuchten. Man kann sagen, Golo Mann erzählt die deutsche Geschichte in Moll. Bekanntlich litt der Vater sehr unter den Verbrechen, die von Deutschland ausgingen und über die Welt kamen. Thomas war persönlich gekränkt vom deutschen Nazitum, man stahl ihm Heimat und Leser, verdarb den sittlichen Charakter und machte die Nation zu einem Barbarenvolk. So lies er sich denn auch zu tobenden Reden gegen die eigene Bevölkerung hinreißen, im Glauben er könne sie damit auf den rechten Pfad bringen. Der Bruch mit seiner Heimat war dennoch endgültig. Golo Mann, geboren 1909, litt mindestens ebensosehr an diesem Deutschland, wie sein Vater. Den ersten Weltkrieg erlebte er als Kind, den Zweiten im frühen Erwachsenenalter. Die Hysterie der Weimarer Jahre, das schwache Parlament und die politischen Verirrungen seiner Mitbürger prägten seine Jugend. Emigration, Erschweren der Studienbedingungen und allem voran der moralische Verfall in den Jahren des deutschen Nationalsozialismus blieben ihm so unüberwindbar verhaftet, dass jene Geschichte Deutschlands als ein Versuch zu sehen ist, diese Zeit zu verstehen, und mit dem Volke wieder ins reine zu kommen. Nie ist sein Ton anklagend, nie lässt sich Golo Mann auf eine Verallgemeinerung der Schuld ein, eine allzu leichtfertig dahingeworfene Haltung einiger Kollegen. Die Zeit scheint ihn gelehrt zu haben, jedes Ressentiment zu verabscheuen, da man dadurch nur auf eine Stufe mit den tobenden Barbaren der linken und rechten Politik herabfällt. So prägend war die Zeit, dass man auf jeder Seite zwischen den Zeilen die Hoffnungen herausliest, mögen doch die zu den extremen neigenden Deutschen endlich an ihr Ziel gekommen sein, gemäßigte Haltung bewahren und nie wieder auf den Mischmasch aus heilsversprechender Politik und Metaphysik hereinfallen. Hier spricht ein Liberaler, der genug hat von den Verwirrungen, die die Umwelt seiner frühen Jahre prägten. Es nimmt nicht wunder, dass aus diesen Erfahrungen ein Unverständnis gegenüber den jüngeren Epigonen der politischen Extremen folgte. Die 68er waren für Golo Mann nur die Vorboten eines weiteren Auszugs aus der entzauberten Welt.
Dass er durch und an der Geschichte litt spürt man. Dass er mehr aus der Geschichte lernte als andere, ist offensichtlich. Was seinem Tonfall anhaftet ist Larmoyanz und Fatalismus. Es ist das Bewusstsein, dass die Geschichte weitergeht, unaufhaltsam und kein noch so großer Wille alleine sie aufhält.

Dienstag, 16. Februar 2010

Für Menschen mit Kurzzeitgedächtnis



Gefunden bei: Zwiebelfisch der Kolumne von Bastian Sick bei SpiegelOnline.

Samstag, 13. Februar 2010

Der Tod und die Jungfer

Niklaus Manuel Detusch

Niklaus Manuel Deutsch kombiniert auf diesem Bild von 1517 zwei kontrastreiche Figuren. Das jungfräuliche Mädchen wendet sich zunächst zörgerlich, dann im Bewusstsein der Unmöglichkeit des Entrinnens, dem Tod zu und gibt sich ihm hin. Er greift ihr in einer obszönen Geste unter den Rock und versucht sie zu küssen. Gerade durch den Kontrast unschuldiger Fruchtbarkeit und verwesender Vergänglichkeit wird das Bild so reizvoll. Es ist ein damals nicht selten aufgetretenes Motiv.

Tod, kannst Du Dich auch verlieben?
Warum holst Du denn mein Mädchen?
Tod, was willst Du mit dem Mädchen?
Mit den Zähnen ohne Lippen
Kannst du es ja doch nicht küssen.
(Ludwig Gleim)


Wer sich für diese Thematik begeistern kann:

Link: La mort dans art
Literatur: Ariès, Philippe; Bilder zur Geschichte des Todes, München 1984
Rosenfeld, Der mittelalterliche Totentanz, Köln-Graz 1974

Donnerstag, 11. Februar 2010

Gil Scott-Heron - Me and the devil

Der sechzigjährige Gil Scott-Heron, der als Urvater des HipHop gilt, tritt mit seinem neuen Album "I'm new here" den Weg nach vorne an. Scott-Heron war nach seiner bedeutensten Phase als virtuoser Jazzfunker in den Siebzigern, durch Drogenexzesse und Konflikte mit der Justiz, bis zuletzt nur noch zu zweifelhaftem Ruhm gelangt.
Das neue Material ist an Dichte und Intensität kaum zu steigern. Es scheint als habe er den Sumpf, in dem er sich die letzten Jahre befand, und die zwielichtigen Fratzen der Gegenden, in denen er sich aufhielt, in seine Musik mitgenommen und verarbeitet. Enstanden ist ein wehklagendes Soulalbum mit viel Atmosphäre, leidiger Stimme und düsteren Beats. Die Single "Me and the devil" finde ich ausgezeichnet, deshalb: anhören!

Dienstag, 9. Februar 2010

Unverschämtheit!

Es wäre dieses Jahr das sechste Mal gewesen, dass ich den Nürburgring in der Eifel mit meiner Anwesenheit beehre. Bis gestern nachmittag um 17 Uhr, hätte dem nichts im Wege gestanden, außer die - wie immer, im Gegensatz zu anderen deutschen Festivals - etwas hohe Eintrittsgebühr von 145€, wenn ich mich nicht täusche. Für vier Tage Rock'n'Roll und einem Line-Up, das die letzten Jahre wirklich nicht zu wünschen übrig lies, bin ich bereit auch einen solchen Betrag zu zahlen. Die Organisation ist immer etwas professioneller, als es bei anderen deutschen Festivals der Fall war; zum Beispiel war der Ring eines der letzten Festivals, bei dem man Gasflaschen mit bis zu 20 Litern Inhalt problemlos aktzeptierte. Der Ring ist auch eines der letzten Festivals bei dem (zumindest auf D9) die Möglichkeit besteht relativ nah am Auto zu parken und eine Anhänger mit aufs Campinggelände zu führen. Ob man das braucht oder nicht, ist eine andere Frage. Für Delux-Camper ist es allemal eine feine Sache.
Dieses Jahr feiert nun der Ring sein 25 jähriges Bestehen. Wie zu erwarten, waren die Karten früh ausverkauft, auch wenn die wenigsten damit schon Mitte Februar gerechnet hätten. Was aber nun seit gestern auf der Homepage zu lesen, ist an Unverschämtheit kaum zu überbieten. Die letzten 1.500 Karten werden zu einem Preis von 250€ verkauft.
Man darf sich das auf der Zunge zergehen lassen. Ganz langsam. Bei Ebay sind die Tickets im Moment für einen Spottpreis von 390€ erhältlich. Wer den Ring schon die Jahre zuvor für seine wuchernden Preise verurteilte und mit den von mir genannten Vorteilen eh nicht viel anfangen konnte, darf sich über das Wasser auf seine Mühlen freuen. Nun lässt sich unter die zahllosen Konzerte von alternden Rockgrößen, wie AC/DC, den Rolling Stones oder Metallica, deren Auftritte unbezahlbar geworden und die bigott, spießig und elitär daherkommen, auch der Ring subsumieren. Letztendlich geht dabei die Leidenschaft zur Musik verloren. Denn, ausgelassen feiern lässt sich unter diesen Umständen wohl kaum. Für 250€ bekommt man ein neues Bett, die Gesamtausgabe von Wittgenstein, einen iPod, zwei Karten für die Rolling Stones (lol), oder eine Sammlung von DVDs mit Liveauftritten und dazu eine nicht allzu schlechtes Dolby-System um sich das bei bester Qualität anzuhören, mit Publikumsnähe ist es beim Ring eh nie weit her. All das im Hinterkopf beim Tanzen steigert ganz sicher nicht die Ausgelassenheit.
Gespannt sein darf man freilich auch auf die Spekulationen bei Ebay und die Höchstbeträge, die einige hysterische Menschen - die es zweifelsohne gibt - jetzt dafür blechen, dabei zu sein. Ich verzichte.

Samstag, 30. Januar 2010

Van Diemens Land

Van Diemens Poster

Kalt und rau sind die Bilder, die den ersten Film des Jungregisseurs Jonathan von der Heide kennzeichnen. Die Wälder schimmern blau-metallisch. Das Ambiente erinnert eher an eine düster-verlassene Industrielandschaft. Aber es ist nichts Künstliches, das diesen Film bedrohlich macht. Es ist die ursprünglichste Natur, die sich sehr bald als der Protagonist des Films herausstellt. Van Diemens Land hieß zur Zeit der ersten Kolonialisierung das heutige Tasmanien. Jonathan von der Heide erzählt die wahre Geschichte des Strafgefangen Alexander Pearce, der anno 1822 mit einigen Mitsträflingen flieht und sich durch das Dickicht der Insel seine Freiheit bahnt. Doch sehr bald wird klar, dass die Freiheit kein Geschenk ist; sie fordert ihren Tribut. Die Weite des Landes schürt, so widersprüchlich es klingen mag, die Klaustrophobie der Männer. Die Kälte nagt an den Flüchtigen. Sie dringt beinahe durch den Bildschirm. Auch die Nahrungsvorräte gehen aus und weit und breit zeigt sich der Gruppe keine Aussicht auf Rettung. Zuerst wächst das Misstrauen gegeneinander. Die Iren mit den Iren, Schotten mit den Schotten und die Engländer mit den Engländern; man hält sich an die vertrautere Sprache, versucht sich zu distinguieren. Nicht mehr lange und auch dieser Impuls ursprünglichen Zusammenhalts zerbricht. Die Belastungen strapazieren die soziale Dynamik. Van Diemens Land ist in dieser Hinsicht auch ein Experiment. Dass es ohne Nahrung kein Erreichen des Zieles geben kann, wird schnell klar. Die Moral bleibt somit auf der Strecke und der Kannibalismus scheint die einzige Möglichkeit zu sein, das Leben zu verlängern. Das eigene Leben, denn zunächst ist leicht auszusondern, wer dran glauben muss, wer eine Belastung darstellt. Beim letzten Bissen vom Fleisch sagt einer: "That could have been me". Niemand widerspricht mehr.

Van Diemens Land ist kein blutrünstiger Horrorfilm. Er bedrückt durch seine archaische Stille, seine authentischen Schauspieler und die rohe Natur. Wie bei einigen Werner Herzog - Filmen, ist sie auch hier der einzige Überlebende. Sie ist schlussendlich immer der Stärkste im struggle of life. Die Natur ist der Organismus, von dem alles andere Leben abhängt. Van Diemens Land ist ein Film für Fans von Welz (Vinyan, Calvaire) und Herzog (Aguirre, Fitzcarraldo). Er lebt hauptsächlich von seinen Bildern, die wunderschön und kühl sind und einen Gang ins Kino wert wären. Ob der Film allerings überhaupt den Weg in die deutschen Kinos schafft, ist noch fraglich.


Dienstag, 26. Januar 2010

Sonntag, 3. Januar 2010

Lutz - ein Dichter und Denker

EIN FREMDER IST NAH. KEIN KNECHT IST FERN.
NICHT JEDER FREMDE IST GROSS. NICHT JEDER FREUND IST FREI.
NICHT JEDER TAG IST OFFEN. NICHT JEDER WEG IST WÜTEND.
JEDES BILD IST WÜTEND. EIN TAG IST FREI.
NICHT JEDES AUGE IST NAH. KEIN TISCH IST SPAET.
EIN HAUS IST VERGANGEN. NICHT JEDES HAUS IST SO ACH.
NICHT JEDER TISCH IST STILL. EIN TURM IST SCHMAL.
NICHT JEDER BAUER IST TIEF. EIN HAUS IST VERGANGEN.
NICHT JEDER FREMDE IST SPAET. EIN DORF IST TIEF.
NICHT JEDES WINDKIND IST STILL, SO GILT NICHT JEDES WINDKIND IST WÜTEND.
KEIN TURM IST OFFEN. NICHT JEDES HAUS IST WÜTEND.
KEIN FREMDER IST WÜTEND, SO GILT JEDES DORF IST FREI.
JEDER TURM IST SCHMAL ODER NICHT JEDER KNECHT IST TIEF.
EIN FREMDER IST VERGANGEN, SO GILT KEIN FREMDER IST SO ACH.
EIN FREUND IST OFFEN. JEDER TURM IST DUNKEL.


Diesem einzigartigen Stück Poesie, gebührt ein fester Platz in unserer Literaturgeschichte. Ja, die vorliegenden Zeilen waren bahnbrechend. Sie schlugen ihre Wellen über den Erdball, überraschten und verzückten seither Hunderttausende. Wer den Autor nicht kennt, tippt vielleicht auf Kafka. Die Richtung stimmt; surreal, impressionistisch, ein bisschen Dada und beatpoetry. Ein Freund, ein Haus, ein Turm; es sind Symbole der menschlichen Nachhaltigkeit. Aber unser Autor kontrastiert sie. Der Turm ist nicht nur das Symbol der Festigkeit, der Schutzwall gegen unseren Feind, er bleibt uns dunkel und fremd. Und auch diese Zeilen wollen nicht richtig zu uns vordringen. Es bleibt eine kühle unscheinbare Distanz, die Leere eines vergangen Fremden.
Das vorliegende Gedicht stammt vom genialen "Lutz", ein Computerprogramm, das 1956 am MIT programmiert wurde. Es verknüft beliebige Substantive mit ebenso beliebigen Adjektiven zu einem Gedicht. Wer Interesse hat, kann hier selbst die Variablen einfügen und einen stochastischen Text erzeugen lassen. Viele dieser Innovationen haben die emotionaleren Gemüter unter uns, auch unter den Philosophen, aufschrecken lassen. Man hatte Angst, nach dem Rechnen würde nun auch das Handwerk der Kunst veräußert. Und schlussendliche können dieses verdammten Maschinen alles, was zwei Jahrtausende den Menschen vorbehalten war. Ohne zu merken, dass man ihnen doch nur zeigt, wie sie am ehesten zu Menschen werden. Man lässt sie den Menschen gleich werden. Nicht sie selbst werden menschlicher, der Mensch versucht sich mit möglichst vielen menschlichen Eigenschaften auszustatten. Das ist nun wirklich keine Kränkung, auch wenn viele das so empfinden. Die Debatte steckt voller Äuquivokationen. Hier werden Algorithmen mal mit Bewusstseinen gleichgesetzt und stochastisches Dichten mit Denken, Intelligenz mit Geist, Kognition mit Reflektion.
Die künstliche Intelligenz nimmt uns soviel ab, wie wir möchten, dass sie das tut. Wenn die Maschinen über uns herrschen, können wir getrost seien, dass wir sie nach unserem Ebenbild geschaffen haben, was keine schlechte Aussicht ist.