Mittwoch, 12. Mai 2010

Georges Spätwerk. Ein Gedicht aus dem "neuen Reiche"

Das Spätwerk Georges wird oft auf den schmalen Grat ideologischen Grenzganges hin untersucht. Sicher gehörte George zu den Denkern der Gruppe, die man gerne unter dem Oxymoron "konservative Revolution" subsumiert. Das stimmte, insofern im George-Kreis einige Schlagwörter der nationalistischen Revolution bereits zum geflügelten Jargon gehörten. Dennoch sprach man im Kreise vom Heldentod, vom geheimen Deutschland, vom neuen Reich und vom Führerkult in einer lediglich kulturellen Sphäre ohne Bezüge zur politischen Wirklichkeit. Eine ausgewogene Semiotik dieser Topoi innerhalb des Kreises könnte zeigen, dass sie mehr dem platonischen Άκαδήμεια (akademeia) Gedanken verhaftet sind, als den Hoffnungen der politischen Moderne nach 1919. Gerade dem Begriff des "Führerkultus", hätte George an seiner offensichtlichen Polyvalenz und Verfremdung Anstoß genommen, hätte leicht durch "Zöglings-" oder "Jünglingskult" ersetzt werden können, ohne seine inhaltliche Dimension einzubüßen. Mit diesen Begrifflichkeiten spielte der Kreis bereits vor dem ersten Weltkrieg. George war sich der Zweckentfremdung seiner Begrifflichkeiten durch die Nationalsozialisten durchaus bewusst. Die federführenden Figuren dieser Bewegung waren nicht wirklich, was sich George als Wunschleser empfahl. Zur einer expliziten Stellungnahme gegen die nationalistische Revolution kam es allerdings auch nicht. "Führerkult", "Reich", "geheimes Deutschland" waren nun einer Eigendynamik im dt. Sprachgebrauch verfallen und erfuhren ihre sematische Ausdehnung, bis zur Entfremdung vom ursprünglichen Sinngehalt. Es finden sich dennoch Gedichte im Spätwerk Georges, die heute der unvoreingenommenen Rezeption wert sind.

Horch was die dumpfe Erde spricht:
Du frei wie vogel oder fisch-
Worin du hängst, das weisst du nicht.

Vielleicht entdeckt ein spätrer mund:
Du sassest mit an unsrem tisch
Du zehrest mit von unsrem pfund.

Dir kam ein schön und neu gesicht
Doch zeit ward alt, heut lebt kein mann
Ob er je kommt das weisst du nicht

Der dies gesicht noch sehen kann.

(Stefan George, GA.IX.129)



Zur Biografie Georges:
Karlauf, Thomas; Stefan George, Die Entdeckung des Charisma, München 2007
Zum Akademie-Gedanken:
Sloterdijk, Peter; Nicht geretter, Versuche nach Heidegger, Frankfurt 2001

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