Donnerstag, 8. April 2010

Golo Mann und die Larmoyanz

Es gibt einige deutsche Historiker, deren Werke mehr waren, als lediglich der historischen Forschung ein Zuwachs an Wissen. Sie legten gleichsam ein literarisches - ein poetisches - Talent an den Tag, schrieben Bücher, die, ausgeglichen in der Form wie im Inhalt, Geschichte erzählen wie ein Roman. So plastisch erscheint einem beim Lesen die Vergangenheit, dass unbemerkt bleibt, wie fern die Ereignisse sind, von denen die Rede ist. Zu diesen Historikern gehören sicherlich der Nobelpreisträger Mommsen, Joachim Fest und allen voran; Golo Mann. Im Schatten seines Vater konnte Mann sein Können erst nach dem Tode seines Vaters voll entfalten. Es scheint als hätte der alte Dichterfürst Thomas erst abtreten müssen, damit Golo das nötige Maß an Selbstvertrauen entwickelt, seine Begabung frei zu entfalten. Dass er der Sprache ebenso gewachsen war wie sein Vater, aber der Weg in die prosaische Dichtung niemals hätte begehen können, ist unleugbar. Es wäre ihm ergangen wie seinem Bruder Klaus und auch seinem Onkel Heinrich. Stets blieb in dieser Familie der Alte im Vordergrund, immer als Repräsentant deutscher Intellektualität, später sogar deutsches Gewissen, und historischer "Seismograph". Ein anderes Feld musste her, eines für das Thomas Mann weniger Gespür hatte, wenngleich seine Porträts des europäischen Bürgertums teilweise sezierenden und analysierenden Charakter hatten. Thomas Mann war in seinen Darstellungen nicht immer ganz ehrlich zu sich, nicht immer ganz korrekt in den Bildern, die er aus seiner Erinnerung versuchte zu zeichnen. Golo Mann brauchte das Korsett der Geschichte. Er hatte stets den Anspruch die Kräfte auszuloten, abzuwägen, die Geschichte machen, von ihr getrieben werden, oder zerrieben. In seiner "deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts" lässt er keine Kraft aus, benennt, was wichtig war, und was für zu wichtig gehalten wurde. Es ist hier nicht angebracht noch einmal ein Lob auf dieses epochemachende Werk auszusprechen. Es hat reichlich und verdient genug davon erhalten. Erwähnenswert scheint mir dennoch den Tonfall, in dem es geschrieben wurde, nochmal zu durchleuchten. Man kann sagen, Golo Mann erzählt die deutsche Geschichte in Moll. Bekanntlich litt der Vater sehr unter den Verbrechen, die von Deutschland ausgingen und über die Welt kamen. Thomas war persönlich gekränkt vom deutschen Nazitum, man stahl ihm Heimat und Leser, verdarb den sittlichen Charakter und machte die Nation zu einem Barbarenvolk. So lies er sich denn auch zu tobenden Reden gegen die eigene Bevölkerung hinreißen, im Glauben er könne sie damit auf den rechten Pfad bringen. Der Bruch mit seiner Heimat war dennoch endgültig. Golo Mann, geboren 1909, litt mindestens ebensosehr an diesem Deutschland, wie sein Vater. Den ersten Weltkrieg erlebte er als Kind, den Zweiten im frühen Erwachsenenalter. Die Hysterie der Weimarer Jahre, das schwache Parlament und die politischen Verirrungen seiner Mitbürger prägten seine Jugend. Emigration, Erschweren der Studienbedingungen und allem voran der moralische Verfall in den Jahren des deutschen Nationalsozialismus blieben ihm so unüberwindbar verhaftet, dass jene Geschichte Deutschlands als ein Versuch zu sehen ist, diese Zeit zu verstehen, und mit dem Volke wieder ins reine zu kommen. Nie ist sein Ton anklagend, nie lässt sich Golo Mann auf eine Verallgemeinerung der Schuld ein, eine allzu leichtfertig dahingeworfene Haltung einiger Kollegen. Die Zeit scheint ihn gelehrt zu haben, jedes Ressentiment zu verabscheuen, da man dadurch nur auf eine Stufe mit den tobenden Barbaren der linken und rechten Politik herabfällt. So prägend war die Zeit, dass man auf jeder Seite zwischen den Zeilen die Hoffnungen herausliest, mögen doch die zu den extremen neigenden Deutschen endlich an ihr Ziel gekommen sein, gemäßigte Haltung bewahren und nie wieder auf den Mischmasch aus heilsversprechender Politik und Metaphysik hereinfallen. Hier spricht ein Liberaler, der genug hat von den Verwirrungen, die die Umwelt seiner frühen Jahre prägten. Es nimmt nicht wunder, dass aus diesen Erfahrungen ein Unverständnis gegenüber den jüngeren Epigonen der politischen Extremen folgte. Die 68er waren für Golo Mann nur die Vorboten eines weiteren Auszugs aus der entzauberten Welt.
Dass er durch und an der Geschichte litt spürt man. Dass er mehr aus der Geschichte lernte als andere, ist offensichtlich. Was seinem Tonfall anhaftet ist Larmoyanz und Fatalismus. Es ist das Bewusstsein, dass die Geschichte weitergeht, unaufhaltsam und kein noch so großer Wille alleine sie aufhält.